SCHWeben Leben Plankton: Das Leben im Wassertropfen

Wasser ist ein Molekül und besteht aus zwei Wasserstoff- und einem Sauerstoffatom, die auf Grund ihres molekularen Arrangements ein Dipol bilden. Durch die Ladungspolarität hat Wasser die Eigenschaft, benachbarte Wassermoleküle elektrostatisch zu binden und ist somit unter – für die Erde – Normalbedingungen flüssig. Seine Polarität gibt Wasser aber auch die Fähigkeit, andere polare Substanzen wie Salze zu lösen - und zwar sowohl anorganische wie organische.

Diese Eigenschaften machten die Entstehung von Leben auf der Erde möglich. Wasser war und ist damit eine der unverzichtbaren Voraussetzungen für die Existenz von Leben auf unserem Planeten. Im Verlauf der Evolution entstand über einen Zeitraum von mehr als 3 Milliarden Jahren aus einfachen organischen Molekülen die Vielfalt an Organismen, die wir heutzutage auf der Erde antreffen. Vor mehr als 400 Millionen Jahren ging dann das Leben aus dem Wasser heraus an Land.

Auch heute ist ein großer Teil der biologischen Vielfalt in aquatischen Lebensräumen zu finden (im Meer, im Süß- und im Grundwasser). Tiere und Pflanzen leben entweder auf und in den Böden (im sogenannten Benthal), oder, wie die meisten Fische und das Plankton, im freien Wasser (dem Pelagial). Das „Schwebende“ (Plankton), die unglaubliche Schar meist kleiner Wassertiere, stellt in seiner Gesamtheit die größte Biomasse aller Gemeinschaften auf unserem Globus. 

Und diese Gemeinschaft bedarf – wie fast alle Lebensräume der Erde – der Sonne und ihrer Strahlung als Motor der Lebensprozesse. Denn ihr Licht dringt ins Wasser ein und ermöglicht nahe der Oberfläche Photosynthese. Im Plankton sind es vor allem ein- und wenigzellige Algen, die mittels Lichtenergie aus CO2 und Wasser komplexe Moleküle aufbauen. Diese Algen sind auch die Basis der Nahrungskette des freien Wassers: In einer komplexen, oft retikulären Beziehung von Pflanzenfressern und Räubern werden Nährstoffe und Energie weitergegeben und dienen größeren Organismen zur Aufrechterhaltung ihrer biologischen Prozesse. Ausscheidungen, aber auch die Körper abgestorbener Tiere und Pflanzen werden von Mikroorganismen zersetzt, oft bevor sie auf den Grund gesunken sind. Und die Abbauprodukte werden den Algen als Nährstoffe wieder zugeführt. Dieses Recycling hält die Kreisläufe des Lebens aufrecht. 

Das Plankton ist außergewöhnlich arten- und formenreich. Fast alle Tierstämme entsenden Repräsentanten in diese Gemeinschaft. Einige von ihnen verbringen ihr gesamtes Leben als Schwebendes zwischen Wasseroberfläche und Gewässerboden. Andere wechseln während ihrer Entwicklung von einem planktischen Larvenstadium zu einem bodenlebenden Geschlechtstier; so etwas finden wir z. B. bei Schwämmen, Muscheln, Seeigeln und Seesternen und vielen Krebsen. Oder sie wachsen heran, um dann als geschlechtsreifes Tier ihren Lebenszyklus im freien Wasser abzuschließen; dies machen viele 

Fische, deren Larvenstadium als Plankton lebt. Denn die Unterscheidung zwischen Plankton und dem Schwimmenden (dem Nekton) lässt sich nicht primär an der Größe festmachen, sondern – per definitionem – an der Fähigkeit, gegen eine stärkere Strömung anschwimmen zu können. Dem Plankton fehlt die Fähigkeit zur selbstbestimmten Eigenbewegung: Planktonorganismen werden „haltlos“ von der Strömung verdriftet. Das Nekton (also z. B. Fische, Meeressäuger und –schildkröten) hingegen kann auch gegen eine stärkere Strömung anschwimmen und bestimmt seine Richtung stets selbst. 

Die allermeisten Planktonorganismen sind durchscheinend. Denn durch das Fehlen von Pigmenten oder anderen auffälligen Strukturen heben sie sich kaum vom umgebenen Wasser ab; auf Grund ihrer Durchsichtigkeit sind sie vor Fressfeinden geschützt. Gerade ihre Transparenz gibt ihnen aber eine besondere Ästhetik und Schönheit, der sich Biologen, aber auch Laien, die den Blick durch das Mikroskop wagen, nicht entziehen können. Mal sind es die Kiemen, mal Beinchen, immer wieder auch die Augen, die wir an und in den Planktonorganismen erkennen. In allen Regenbogenfarben irisierende Wimperbänder treiben z. B. Rippenquallen oder die Larven von Muscheln, Schnecken, Seesterne oder Seeigel langsam vorwärts und verhindern das Absinken. Bei Wasserflöhen und Ruderfußkrebsen, die einen äußeren Panzer besitzen und daher – im Vergleich zum Wasser – recht schwer sind, sind es die Beine oder Antennen, die ihnen das Verbleiben in der freien Wassersäule ermöglichen. Diese Bewegungsorgane produzieren oft gleichzeitig den Wasserstrom, der die Nahrung zur Mundöffnung transportiert und so die Ernährung sicherstellt. 

Aber es gibt auch passive Mechanismen der Kompensation der Schwerkraft, die sonst das Plankton auf den Meeresboden ziehen würde. Dünne, aber lang ausladende Körperfortsätze verringern die Sinkgeschwindigkeit und helfen den Planktonorganismen, mit geringem Energieaufwand ihre Position im freien Wasser zu halten; bei Planktonalgen sorgen Gas gefüllte Vesikel oder Fetttröpfchen für den Auftrieb. 

Viele Planktontiere dienen anderen zur Nahrung. 

Um dem Gefressen werden zu entgehen, erfanden sie verschiedene morphologische Anpassungen und Verhaltensmuster. Viele größere Plankter wandern jeden Morgen in die Tiefe, wo ihre Fressfeinde sie nicht sehen (und fressen) können, und abends oder nachts wieder an die Oberfläche, um dort die Algen „abzuweiden“.  Andere bilden in Anwesenheit von Räubern dornenförmige Körperfortsätze aus, die ihren Feinden eine „Maulsperre“ verpassen und schützen sich auf diese Weise. Einige schießen Lichtblitze ab und irritieren so mögliche Fressfeinde. Und ihre Transparenz schützt sie zusätzlich. 

So hat sich das Plankton bei seinem Leben „in der Schwebe“ seit Jahrmillionen täglich den Herausforderungen des freien Wassers stellen müssen und verschiedene Wege zu deren Lösung entwickelt: zur Kompensation des ständigen Sinkens, zur Nahrungsaufnahme, zur Feindvermeidung und zur Fortpflanzung. 

Das Ergebnis sind Organismen mit einem Arsenal perfekter und spezifischer Anpassungen – und von bezwingender Schönheit.

Willi Xylander, Direktor des Senckenberg Museums

für Naturkunde Görlitz